Textinszenierung
Man hatte der Werbeagentur wie gewünscht ein Angebot unterbreitet und wurde informiert, dass auch KI-Vorschläge eingeholt wurden. Die Mitwelt hatte davon abgeraten, sich zu bewerben. Schließlich könne man gegen KI nicht gewinnen. Menschen aus der gleichen Kreativkultur empfehlen, es einfach zu probieren. „Protect your baby“, denkt man sich und beschließt der Mitwelt nicht mitzuteilen, dass man sich auf den Textversuch einlassen wird. Zwischendurch und immer wieder, während man auf die Informationen achtet, die einem der Augenblick gibt, leistet man es sich, sichtbar und verletzlich zu sein.
Ideen entwickeln sich, als ob sich das Universum durch einen Türspalt hereingeschmuggelt. Man pickt hier und da etwas heraus, langsam entsteht eine mosaikhafte Vorstellung, deren Elemente man spielerisch wieder anders zusammenstellt. Ein hellblaues Traumkleid, dessen Glitzer man durch die Texte wehen sieht, kauft man in der Nähe der Werbeagentur. Vielleicht macht es den Traumauftrag wahr oder es ist einfach nur ein Ideensplitter, der das Gesamtkonzept vervollständigt wie die Luft auf dem Haar. Die Entscheidung, Texte mit subtilen und humoristischen Varianten zu schreiben, wird experimentell realisiert. Doch diese Texte werden nicht bleiben, so wieder mal eine Information der Intuition, der man vertrauen kann. Man beschließt das Gesamtkonzept "Multidimensionale Stille" zu nennen.
Eine Stille, die leer zu sein scheint und doch alles enthält. Die paillettenhaft glitzernde Textstrukturen sind passend zur äußeren Erscheinung entstanden. Sie verlangen nach Interpretation und bieten gedankliche Hintertüren, Ungenauigkeiten und Ahnungen an. Vergleichbar mit der dreifachen Tüllschicht, die den Inhalt birgt und verbirgt. Nun, die hellblaue Farbe hatte man als leicht verständliche Sprache übersetzt. Die Durchsichtigkeit des Kleides in Taillenhöhe in Form von direkter Sprache als ein Tribut an Zeiten, in denen man sich weniger intellektuell mit dem geschriebenen Wort beschäftigen möchte. Was geschieht, wenn man sich in einem stillen Umfeld befindet? Welche Sinne werden angesprochen?
Welche Worte befinden sich in der Stille, welche Worte drücken Stille aus, welche Wörter schaffen Stille? Man hatte sich bei der Vorbereitung intensiv mit diesen Fragen beschäftigt: Wörter zusammengestellt, sie laut ausgesprochen und ihre Atmosphäre wahrgenommen. Mit „lauten Worten“ begonnen und multiassoziativen „leisen und sehr leisen“ Worten vorübergehend (und für diesen Auftrag uneingeschränkt) geendet. Die Stille im Text und um den Text herum ihre Wirkung im hellblauen Synonymkleid entfalten lassen. Die Informationen des Kunden in die Performance, in den unerwartet gewonnenen Auftrag und im Ideal multidimensional im Kundenportal eingewoben. Textinszenierung mit kreativer Zensierung. https://www.kulturkaufhaus.de/de/detail/ISBN-9783769312447/Wolters-Marion/JO-Y-ES
Marion